Versunken in der Musik des Textes

„Ein Chanson“, sagt Jean Faure, „das muss authentisch gesungen werden. Nicht verkitscht, nicht bemüht, sondern so, als hätte man die Geschichte hinter den Strophen selbst erlebt.“ Kurzum so, wie Faure es in seinen Konzerten vormacht, mit warmer, weicher Stimme sowie einem untrüglichen Gespür für die Tiefen der von ihm so geliebten Lieder, die er sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat. 1969 brachte er sie mit nach Bonn, damals, als er nach Studienjahren in Aix-en-Provence und Grenoble noch ein paar Semester in Deutschland verbringen wollte. Inzwischen sind es beinahe fünfeinhalb Jahrzehnte geworden, in denen sich Faure nicht nur in der Bundesstadt einen hervorragenden Ruf als einfühlsamer Interpret von Brassens und Brel, von Ferré und Trenet und Gainsbourg erarbeitet hat. Am kommenden Samstag feiert er nun im Pantheon 15 Jahre als Solo-Künstler – und plant zugleich voraus.

Aus der lokalen Kulturszene ist Jean Faure schon längst nicht mehr wegzudenken, und das nicht nur als Gründungsmitglied und „Vereinsfranzose“ des Pink Punk Pantheon. Dennoch ist ein volles Haus für ihn bis heute keine Selbstverständlichkeit, seine Musik nach eigener Aussage zu sehr in einer Nische. „Die meisten Deutschen kennen vielleicht das eine oder andere berühmte Chanson zumindest der Melodie nach, aber jenseits von 'la mer' und 'les feuilles mortes' wird es schwer“, sagt er. „Das finde ich aber überhaupt nicht schlimm. Ganz im Gegenteil freue ich mich umso mehr, wenn nach einem Konzert Menschen zu mir kommen und gestehen, dass sie zwar kein Wort verstanden, aber dafür sehr viel gespürt haben. Wenn die Leute sich tragen lassen von der Melodie einerseits und von der Musik des Textes andererseits, dann bin ich zufrieden.“

Faure selbst ist dem Chanson schon seit seiner Jugend verfallen. In einem Internat am Mittelmeer erhielt der im französischen Gap geborene Jean seine erste Gitarre und begann sofort, sich an die großen Chansonniers heranzuwagen. Vor allem Georges Brassens habe ihn stark geprägt, sagt er, diese besondere Mischung aus Feinfühligkeit und Unangepasstheit, aus eleganter Poesie und farbenprächtigem Straßenjargon. Doch auch der Belgier Jacques Brel hat ihn stets fasziniert. „Ich hatte das große Glück, ihn einmal live zu erleben, in den 60ern, kurz bevor er sich von der Bühne verabschiedete“, erinnert sich Faure. „Diese Energie und diese Leidenschaft waren unvergleichlich, vor allem weil nichts davon gespielt war.“

Diesem Ansatz eifert Faure seitdem nach. Mit seiner Band hat er inzwischen um die 150 Titel gespielt – es hätten mehr sein können, aber, so betont der 77-Jährige lachend, er sei eben wählerisch. „Zunächst einmal muss ich Lust auf ein bestimmtes Chanson haben“, sagt er. „Und dann muss es auch passen – es gibt Titel, die ich zwar sehr schätze, denen ich aber stimmlich nicht gerecht werden könnte. Bei anderen wie etwa bei Henri Salvadors ‚Syracuse' stimmt dagegen alles, dieses Chanson singe ich unglaublich gerne.“

Obwohl Jean Faure Bonn schon seit 54 Jahren seine Heimat nennt, hat er mit Frankreich nicht gebrochen. Im Gegenteil: „Bei mir schlagen zwei Seelen in einer Brust“, betont er. „Manche Freunde sagen mir manchmal, ich sei doch sehr deutsch geworden. Das stimmt ja auch. Früher gab es jedoch Phasen, in denen mich das sehr gestört hat, in denen ich mich fragte, wer ich eigentlich bin und wo meine kulturelle Identität liegt. Inzwischen weiß ich es besser. Ich habe mich nicht nur damit abgefunden, dass ich beides bin, ich sehe diese Mischung sogar als bereichernd an.“

Umso größer sind allerdings seine Sorgen mit Blick auf die gegenwärtige Situation in Frankreich. „Es wundert mich leider überhaupt nicht, dass die Menschen dort unzufrieden mit der Politik sind und auf die Straße gehen“, sagt er. „Ich bin davon überzeugt, dass das politische System in Frankreich am Ende ist. Die Möglichkeiten des demokratischen Gestaltens sind durch die Macht des Präsidenten stark eingeschränkt, und zudem fehlt eine Kultur des Kompromisses wie in Deutschland. Ich hoffe nur, dass der dringend notwendige Wandel einigermaßen friedlich vonstatten gehen wird.“

Derweil wird Jean Faure das kulturelle Erbe seines Vaterlandes weitertragen, auch über das Jubiläumskonzert im Pantheon hinaus. „Erst einmal wollen wir für ein paar Tage Video-Aufnahmen machen“, erklärt er. Und dann? „Nun, meine Band weiß davon noch nichts, aber ich trage mich mit dem Gedanken, ein Programm über den Tod zu machen. Es gibt so viele schöne Chansons zu diesem Thema, und nicht alle sind traurig oder schwermütig. Noch ist nichts entschieden, aber mich würde diese Idee auf jeden Fall reizen.“

Thomas Kölsch, General Anzeiger 14.4.2023

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